Page 20 - Spielinfo 1 2023
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S c h w e r p u n k t




          Würfel




          Das «reine» Würfelspiel (Würfel sind alleiniger Gegenstand des Spiels
          in  unterschiedlicher  Anzahl)  zählt  zu  den  ältesten  bis  heute
          praktizierten Glücksspielen, deren Ausgang vom Zufall abhängig ist.
          Mit  Hilfe  archäologischer  Funde,  Bild-  und  Textquellen  kann  das
          Würfelspiel  5000  Jahre  zurück  datiert  werden.  Verbreitet  war  es
          bereits  im  antiken  Mittelmeerraum.  Tacitus  berichtet  über  die
          Germanen, dass sie «das Würfelspiel ... in voller Nüchternheit ... wie
          ein  ernsthaftes  Geschäft»  betreiben.  Und  weiter:  dass  «ihre
          Leidenschaft  im  Gewinnen  und  verlieren  ...  so  hemmungslos  [ist],
          dass  sie,  wenn  sie  alles  verspielt  haben,  mit  dem  äussersten  und
          letzten Wurf um die Freiheit und ihren eigenen Leib kämpfen».
          Im Mittelalter war das Würfelspielen in der gesamtem Bevölkerung
          verbreitet, d.h. nicht nur Bauern und Schausteller spielten, sondern
          auch Geistliche, Adel und Bürger, Frauen gleichermassen wie Männer.
          Gewürfelt  wurde  stets  um  einen  Gewinn,  der  zunächst  aus
          Sachwerten bestand, dann ab dem 9. Jahrhundert mit der zunehmend
          Ausweitung des Münzwesens, sind Geldgewinne nachweisbar. Spiel-
          orte der Unterschicht waren öffentliche Bereiche wie das Wirts- und
          Gasthaus,  Jahrmärkte  und  andere  Feste.  Bürger  und  Adel  spielten
          meist in den sich allmählich ausbildenden Spielhäusern, bei Hof, auf
          Bällen oder in privaten Räumen.
          Die  hohen  Einsätze  und  die  Risikobereitschaft,  die  oft  aggressiven
          Reaktionen  auf  ein  verlorenes  Spiel,  führten  schliesslich  immer
          wieder  zu  Verordnungen  und  Verboten.  Mit  der  «lex  alearis»
          untersagten die Römer das Würfelspiel. König Ludwig IX. verbot 1255   und anonyme Dichter beschrieben in ihren Erzählungen, Dramen etc.
          seinen Beamten das  Würfelspiel und die Anfertigung von  Würfeln.   verschiedene Würfelspiele und -turniere. Wilhelm Hauff schildert in
          Von  den  Edikten  reglementiert  wurden  soziale  Gruppen,  die  Spiel-  seinem  Märchen  «Das  kalte  Herz»  wie  sein  Protagonist  der  Spiel-
          zeiten und die Höhe des Einsatzes. Sie galten in der Regel nur für eine   leidenschaft  verfällt  und  damit  letztlich  sein  Unglück  heraufbe-
          bestimmte Region. Bei der Durchsetzung spielte der gesellschaftliche   schwört.
          Stand der Spieler und Spielerinnen eine grosse Rolle. Der Würfler bzw.   Das Spiel mit dem Glück faszinierte die Menschen derart, dass sie den
          der Spieler war der Obrigkeit ein Dorn im Auge. Sie sahen die Unter-  Ausgang des Spiels nicht mehr den Zufall überlassen wollten. Bemer-
          schicht vom Würfelspiel verführt, bereit ihren gesamten Besitz, das   kenswert ist das Kapitel über das Würfeln in einem Spielebuch, das
          Wenige was sie hatten, samt Frau und Kind zu verspielen. Weitere   König Alfons X. von Kastilien und Leon (1221-1284) initierte, wo er sich
          Folgeerscheinungen der Spielleidenschaft waren für sie übermässiger   bereits  im  13.  Jahrhundert  Überlegungen  zu  Wahrscheinlichkeiten
          Alkoholgenuss, gewalttätige Auseinandersetzungen und «Gottesläst-  beim  Würfeln machte und so den Glückspielhorizont um eine ent-
          erung»,  wie  Schwüre  auf  das  Spiel  oder  «tätliche»  Angriffe  auf   scheidende und wichtige Komponente erweiterte. Mehr darüber gibt
          christliche Symbole, z.B. Bespucken des Kruzifix. Geistliche verdamm-  es nach einmal umblättern auf Seite 22 zu lesen.
          ten das Spiel in ihren Predigten als «Teufelsspiel».   «Würfel-Brettspiele»  oder  auch  «Würfeltafeln»  sind  höchstwahr-
          Mittelalterliche Illustrationen zeigen die Spieler häufig in Gesellschaft   scheinlich so alt wie die Würfel selbst. Die Vorläufer der Brettspiele
          des Teufels – dem damaligen Zeichen nicht gottgefälligen Lebens. Der   waren Spiele, die in den Sand gezeichnet, später auf Papier gedruckt,
          Spieler selbst wird nicht selten in einem Narrenkostüm porträtiert.   auf Holz oder gar Fliesen gemalt wurden. Einige Spiele fanden erst im
          Aber auch Literaten beschäftigten sich mit dem Glücksspiel. Bekannte   Mittelalter ihre endgültige Form. Bei den «Würfel- Brettspielen» han-
                                                               delt es sich um Spiele, bei denen nicht allein der Würfel über Gewinn
                                                               und  Verlust  entscheidet,  sondern  die  Angaben  auf  dem  Spielbrett
                                                               oder auf einem zugehörigen Spielplan den Spielverlauf massgebend
                                                               beeinflussen.  Spielsteine  werden  vor  oder  während  des  Spiels  auf
                                                               erwürfelte Felder gelegt, die teilweise mit Würfelkombinationen ge-
                                                               kennzeichnet sind oder zusätzliche Angaben enthalten, die über den
                                                               Verlauf des Spieles mitentscheiden. In einer anderen Form wird gegen
                                                               eine Bank gespielt.
                                                               Nach  Aufkommen  der  Spielkarten  galt  es  jedoch  zunehmend  als
                                                               unfein mit Würfeln zu spielen. Grafiken und Gemälde des 17. und 18.
                                                               Jahrhunderts zeigen überwiegend Bauern, Handwerker und Soldaten
                                                               beim Würfelspiel, die Landesherren werden seltener bei diesem Spiel
                                                               dargestellt. Das Würfelspiel war nicht mehr standesgemäss. Mit dem
                                                               Aufkommen der staatlich betriebenen Casinos wurden Karten- und
                                                               Roulettespiele wichtiger.  (lb)
                                                               Textauszüge aus: Ulrike Näter, «Die Geschichte des Glückspiels»


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