Page 46 - Spielinfo 2 2024
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S c h w e r p u n k t
Wie ich dazu kam,
24B
den Papst zu schälen
Text: BRITTA FREI
Ich liebe Sprachen. Hätte dies jemand mei- chen. An einem abgelegenen Ach, wie
nem alten Ich erzählt, hätte es ihm wahr- Ort, an dem einmal in der Wo- stumm war
che ein Bus hin- und wegfährt.
scheinlich nicht geglaubt. Damals habe ich Ein Ort, wo ich niemanden ich am Anfang
noch nicht gewusst, dass Sprachen lernen kannte und in dessen Sprache
nicht nur mühsam, sondern auch spielend ich vor allem Meister war, die aus Angst ich
richtig abgewandelten Wörter
leicht sein kann. in Lückentexte zu füllen. Ich könnte etwas
30 bis 18 Jahre ist es nun her, dass ich mich durch die traf auf eine Gruppe von 11 Falsches
Menschen mit 11 unterschied-
Schule kämpfte. Deutsch, Englisch, Latein, Französisch lichen Zugängen zur Sprache
und Spanisch. Mühsam Regeln und deren Ausnahmen be- Spanisch. Die Kursleiter: sagen.
zugslos auswendig lernen. Besonders Französisch hat sich Richard, ursprünglich aus dem
in meine Erinnerungen eingebrannt: eine Zeile im Heft englischsprachigen Raum, mit
füllt die Regel, und die restliche Seite: Ausnahme, Aus- seinem speziellen Akzent und seine Frau mit spanischer
nahme der Ausnahme, «mais», «attention», aber ... Viel- Muttersprache und ihrem Sohn Kevin, der vor Ort auf-
leicht kann es jetzt der eine oder andere Leser nachfühlen... wuchs. Die Teilnehmer: Die enthusiastische, kleine, bas-
Einen Text schreiben, mit dem Gedanken daran, wo sich kische Powerfrau aus dem Norden Spaniens, deren
wohl der Rotstift als nächstes festsetze. Wobei, die relativ Sprechgeschwindigkeit nur mehr vom Katalanen Enrique
klaren Regeln der Kommasetzung, Rechtschreibung und übertroffen wurde. Den aus Andalusien stammenden, nun
Grammatik waren ja meist noch mit Logik zu lösen. Doch in Mallorca wohnenden Fernando. Die gelassene Paloma
wie ich den Erwartungen an den Ausdruck und die Wort- aus der Hauptstadt Madrid. Den gemütlich sprechenden
wahl entsprechen oder eben nicht entsprechen konnte, ist Alejandro mit seiner herzlichen, argentinischen Redensart
mir ehrlich gesagt bis heute noch ein Rätsel. Kein Wunder, und dem klar sprechenden Humberto aus Venezuela, der
dass ich mich irgendwann darauf konzentrierte, meine zu meinem Glück in Deutschland aufgewachsen ist und
Punkte in der klaren messbaren, normativen Sprachrich- mir im Notfall eine grosse Hilfe war. Die Schwedin Anna,
tigkeit zu holen und den Stil und Ausdruck «gefühlt» dem die der spanischen Sprache nach «learning by doing» in
Zufall überliess. So kam es auch irgendwann dazu, dass den verschiedenen Ländern Südamerikas mächtig wurde.
man mir unterstellte, eher der naturwissenschaftliche Typ Briana aus den Vereinigten Staaten mit dem exakten Spa-
zu sein. Naja, als dann der Tag der Entscheidung anstand, nisch einer studierten Lehrerin. Ja, hier sass ich nun im
in welche Richtung ich gehen sollte, entschied ich mich Sitzkreis, neugierig und ohne viel Ahnung, was mich er-
trotzdem für den sprachwissenschaftlichen Zweig. Auch warten würde. In der ersten Woche verging kein Abend
die meisten meiner Freunde entschieden sich dafür. Und ohne Kopfweh, das mich spätestens um 21 Uhr ins Bett
das Argument, mit Sprachen kannst du die Welt entde- fallen liess. Es waren weniger die Inhalte in den Kursstun-
cken, machte Sinn für mich. Aus heutiger Sicht bin ich den, die mich ermüdeten. Das Vokabular basierte oft auf
sehr froh um diese Entscheidung. Auch wenn ich mittels Fremdwörtern, die mir aus meinem Sprachalltag bekannt
lerngerechteren Methoden wahrscheinlich mehr rausholen waren. Viel mehr waren es die Alltags- und Pausengesprä-
hätte können, wurde mir ein wichtiger Grundstein für spä- che, die mich anstrengten und denen ich schlecht folgen
ter gelegt. Um später Sprachen mit Freude zu lernen. Doch konnte. Am leichtesten fiel es mir in den praktischen Ein-
was ist später passiert? Was hat sich geändert? heiten im Gelände. Wir bereiteten Dünger und Beete vor,
Ich kann mich noch gut daran säten und pflanzten, steckten die Zäune der Tiere, pflegten,
Das Argument erinnern, wann mir Sprache be- ernteten und verarbeiteten. In diesem Alltag erlernte ich
mit Sprachen gonnen hatte Freude zu berei- mit spielerischer Leichtigkeit einen reichlichen Wort-
ten. In einem sehr kopflastigen
schatz. Die Wörter fielen und ich hatte sie sicht- und greif-
kannst du die Leben stieg mein Interesse, im- bar vor mir. «Kannst du mir mal das Ding da drüben ge-
mer mehr mit meinen Händen
ben?» «Ah, du meinst die Schaufel!» Ich konnte immer
Welt entde- in der Natur zu arbeiten und mehr verstehen, was um mich herum gesprochen wurde.
meine eigenen Nahrungsmittel
Als ich dann auch noch meine anerzogene Angst vor Feh-
cken, machte herzustellen. Ich entschied lern ablegen konnte, fiel es mir noch leichter. Ach, wie
mich, einen landwirtschaftli-
stumm war ich am Anfang aus Angst, ich könnte etwas
Sinn für mich. chen Kurs in Spanien zu ma- Falsches sagen. Irgendwann war dann aber der Wunsch
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Wie ich dazu kam,
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den Papst zu schälen
Text: BRITTA FREI
Ich liebe Sprachen. Hätte dies jemand mei- chen. An einem abgelegenen Ach, wie
nem alten Ich erzählt, hätte es ihm wahr- Ort, an dem einmal in der Wo- stumm war
che ein Bus hin- und wegfährt.
scheinlich nicht geglaubt. Damals habe ich Ein Ort, wo ich niemanden ich am Anfang
noch nicht gewusst, dass Sprachen lernen kannte und in dessen Sprache
nicht nur mühsam, sondern auch spielend ich vor allem Meister war, die aus Angst ich
richtig abgewandelten Wörter
leicht sein kann. in Lückentexte zu füllen. Ich könnte etwas
30 bis 18 Jahre ist es nun her, dass ich mich durch die traf auf eine Gruppe von 11 Falsches
Menschen mit 11 unterschied-
Schule kämpfte. Deutsch, Englisch, Latein, Französisch lichen Zugängen zur Sprache
und Spanisch. Mühsam Regeln und deren Ausnahmen be- Spanisch. Die Kursleiter: sagen.
zugslos auswendig lernen. Besonders Französisch hat sich Richard, ursprünglich aus dem
in meine Erinnerungen eingebrannt: eine Zeile im Heft englischsprachigen Raum, mit
füllt die Regel, und die restliche Seite: Ausnahme, Aus- seinem speziellen Akzent und seine Frau mit spanischer
nahme der Ausnahme, «mais», «attention», aber ... Viel- Muttersprache und ihrem Sohn Kevin, der vor Ort auf-
leicht kann es jetzt der eine oder andere Leser nachfühlen... wuchs. Die Teilnehmer: Die enthusiastische, kleine, bas-
Einen Text schreiben, mit dem Gedanken daran, wo sich kische Powerfrau aus dem Norden Spaniens, deren
wohl der Rotstift als nächstes festsetze. Wobei, die relativ Sprechgeschwindigkeit nur mehr vom Katalanen Enrique
klaren Regeln der Kommasetzung, Rechtschreibung und übertroffen wurde. Den aus Andalusien stammenden, nun
Grammatik waren ja meist noch mit Logik zu lösen. Doch in Mallorca wohnenden Fernando. Die gelassene Paloma
wie ich den Erwartungen an den Ausdruck und die Wort- aus der Hauptstadt Madrid. Den gemütlich sprechenden
wahl entsprechen oder eben nicht entsprechen konnte, ist Alejandro mit seiner herzlichen, argentinischen Redensart
mir ehrlich gesagt bis heute noch ein Rätsel. Kein Wunder, und dem klar sprechenden Humberto aus Venezuela, der
dass ich mich irgendwann darauf konzentrierte, meine zu meinem Glück in Deutschland aufgewachsen ist und
Punkte in der klaren messbaren, normativen Sprachrich- mir im Notfall eine grosse Hilfe war. Die Schwedin Anna,
tigkeit zu holen und den Stil und Ausdruck «gefühlt» dem die der spanischen Sprache nach «learning by doing» in
Zufall überliess. So kam es auch irgendwann dazu, dass den verschiedenen Ländern Südamerikas mächtig wurde.
man mir unterstellte, eher der naturwissenschaftliche Typ Briana aus den Vereinigten Staaten mit dem exakten Spa-
zu sein. Naja, als dann der Tag der Entscheidung anstand, nisch einer studierten Lehrerin. Ja, hier sass ich nun im
in welche Richtung ich gehen sollte, entschied ich mich Sitzkreis, neugierig und ohne viel Ahnung, was mich er-
trotzdem für den sprachwissenschaftlichen Zweig. Auch warten würde. In der ersten Woche verging kein Abend
die meisten meiner Freunde entschieden sich dafür. Und ohne Kopfweh, das mich spätestens um 21 Uhr ins Bett
das Argument, mit Sprachen kannst du die Welt entde- fallen liess. Es waren weniger die Inhalte in den Kursstun-
cken, machte Sinn für mich. Aus heutiger Sicht bin ich den, die mich ermüdeten. Das Vokabular basierte oft auf
sehr froh um diese Entscheidung. Auch wenn ich mittels Fremdwörtern, die mir aus meinem Sprachalltag bekannt
lerngerechteren Methoden wahrscheinlich mehr rausholen waren. Viel mehr waren es die Alltags- und Pausengesprä-
hätte können, wurde mir ein wichtiger Grundstein für spä- che, die mich anstrengten und denen ich schlecht folgen
ter gelegt. Um später Sprachen mit Freude zu lernen. Doch konnte. Am leichtesten fiel es mir in den praktischen Ein-
was ist später passiert? Was hat sich geändert? heiten im Gelände. Wir bereiteten Dünger und Beete vor,
Ich kann mich noch gut daran säten und pflanzten, steckten die Zäune der Tiere, pflegten,
Das Argument erinnern, wann mir Sprache be- ernteten und verarbeiteten. In diesem Alltag erlernte ich
mit Sprachen gonnen hatte Freude zu berei- mit spielerischer Leichtigkeit einen reichlichen Wort-
ten. In einem sehr kopflastigen
schatz. Die Wörter fielen und ich hatte sie sicht- und greif-
kannst du die Leben stieg mein Interesse, im- bar vor mir. «Kannst du mir mal das Ding da drüben ge-
mer mehr mit meinen Händen
ben?» «Ah, du meinst die Schaufel!» Ich konnte immer
Welt entde- in der Natur zu arbeiten und mehr verstehen, was um mich herum gesprochen wurde.
meine eigenen Nahrungsmittel
Als ich dann auch noch meine anerzogene Angst vor Feh-
cken, machte herzustellen. Ich entschied lern ablegen konnte, fiel es mir noch leichter. Ach, wie
mich, einen landwirtschaftli-
stumm war ich am Anfang aus Angst, ich könnte etwas
Sinn für mich. chen Kurs in Spanien zu ma- Falsches sagen. Irgendwann war dann aber der Wunsch
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