Page 37 - Spielinfo 2 2024
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S c h w e r p u n k t & V e r g a n g e n e S p i e l w e l t e n
Dem homo ludens eine Gasse
18B
«In unserem Lande von Lächerlichkeit bedroht, kommt die
«Spielwelle»?» Die erste Spielkritik Eugen Okers, die in
der Zeit am 4. Dezember 1964 erschien.
Text: EUGEN OKER
Wenn die Nebel fallen, wenden sich apparat, das Auto – haben offenbar unverwüstliche «Mensch ärgere dich
die Gedanken dem deutschesten aller eine gesellschaftliche Umorientierung nicht» zurück, ist aber noch um etliche
Feste zu, das aber heute mit der fatalen bewirkt, die als Basis in stärkerem Grade vermaledeiter und trägt somit
Frage verbunden ist: Was schenke ich Masse die Familie in den Mittelpunkt seinen Namen zu Recht. Wie bei allen
wohl wem zu Weihnachten? Gelegen- gerückt hat: Das eigene Heim ist der wirklich faszinierenden Würfelspielen
heit, nicht Anlass zu den nachstehen- grösste Konkurrent des Gasthauses, ist die Idee auch hier recht einfach:
den Betrachtungen, denn hier soll früheres Zentrum der Familienväter. Man hat auf einer verästelten Spiel-
nicht vom Schenken, sondern vom Diese Entwicklung steht jedoch noch route von fünf «Männchen» eines ins
Spielen die Rede sein. an ihrem Anfang. Nicht von ungefähr Ziel zu bringen. Dabei darf vor- und
Der spielende Mensch braucht Hilfe: bieten vorerst nur die Geschäfte in den zurückgezogen und «geschmissen»
Er ist in unserem Lande von Lächer- Grossstädten und an hochfrequentier- werden. Doch ist der Weg steinig im
lichkeit bedroht – im Gegensatz zu ten Ferienorten die grosse Auswahl. wahrsten Sinne des Wortes. Über die
England, beispielsweise – denn bei Es brauchte im Urlaub nur einen Tag Strecke verteilt, befindet sich eine An-
uns ist mangelnder Ernst etwas Ver- zu regnen, und schon begann der Run zahl von Barrikaden; kleine weisse
dächtiges. Spielratten gelten als eine auf die Spielwarenläden. Holzzylinder, über die man nicht hin-
Art von Hanswursten, die ihre Zeit mit Auch das Fernsehen hat einen gewich- wegkann. Man muss sie erst entfernen.
zwecklosem Tun vergeuden. Zweck- tigen Anteil: Quizsendungen, «Ge- Dies geschieht, indem man ihren Platz
loses Tun ist es aber doch, was uns wusst wo?», «Passwort» und andere durch direkten Wurf mit einem seiner
fehlt! haben den Spielratz angesprochen. Figuren erreicht. Das erlaubt dann
Seit einiger Zeit ist in Spielwarenge- Der Handel sollte die Konsequenz aus dem Spieler, das Hindernis irgendwo-
hin, meist einem Mitspieler vor die
schäften ein Phänomen zu beobach- dieser sich abzeichnenden Entwick- Nase, zu setzen. Das ist alles.
ten: Schüchterne Erwachsene «schmö- lung ziehen und dem neuen Kunden
kern» in den flachen Schachteln der die Befangenheit nehmen. Die Verle- Mehr wäre aber auch entschieden zu-
Abteilung «Gesellschaftsspiele». Die ger sollten ihre Produktion auf ihn, viel: Beim «Malefiz» kann man ler-
Fragen der Verkäuferinnen («Für wel- den Anspruchsvollen, einrichten nen, seinen besten Freund zu verflu-
ches Alter soll’s denn sein?»), und ihr durch attraktivere graphische Gestal- chen. Und man sollte die Spielregeln
Rat (Das ist aber ein sehr komplizier- tung der Verpackung, wie das der um eine emotioneile Variante erwei-
tes, ab fünfzehn) sind gut gemeint. Sie Buchhandel schon längst und seit etli- tern. Etwa durch die Erlaubnis jegli-
wollen diese Spiele aber für sich selber cher Zeit auch die Schallplattenindust- cher indirekter Einflussnahme wie
erwerben. Und sie möchten sie vorher rie macht. Menschen, die spielen, warnen, überreden, drohen, bitten,
gern anschauen, den Spielplan studie- scheinen uns friedliche Menschen von durch echte und falsche Ratschläge,
ren und besonders natürlich die Anlei- der rechten Sorte zu sein: Sie unter- Bildung von Bündnissen, Veranstal-
tung, denn es sind Fachleute: Spielrat- werfen sich freiwillig komischen Re- tung gemeinsamer Hetzjagden. So
ten. Sie wünschten Stühle um einen geln, huldigen dem Humor und dem wird «Malefiz» zu einem Spiel, an
Tisch in einer Ecke, Ruhe zum Aus- Fair Play. Zu ihrer Ermunterung wol- dem Freud seine Freude gehabt hätte:
probieren, Vorgeniessen, sorgfältiges len wir beitragen. Warum soll es nur zur Katharsis. Ein Gesundbad für stra-
Auswählen, nicht bedrängt von unge- Besprechungen von Büchern, Filmen, pazierfähige Freundschaften und sol-
duldigen Verkäuferinnen und aufge- Theaterstücken geben? Warum nicht che, die es werden wollen.
kratzten Kindern. Das wird der bisher auch kritische Beschäftigung mit… «Malefiz» gibt es in zwei Ausgaben.
einzig einschlägige Fachhandel, eben Spielen? Die ältere ist mir lieber. Der Spielplan
die Spielwarenbranche, dem neuen ist zwar vergleichsweise nüchtern,
Kunden bieten müssen, will sie ihn, Ärgern ist gesund aber die Route ist weiträumiger, er-
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der seiner Art nach die Atmosphäre ei- Halma, Mühle, Fang den Hut und al- laubt mehr taktische Kombinationen,
nes Buchladens vorzöge, gäbe es dort les, was in den verschiedenen Spiele- begünstigt Ausreisser, ermuntert Koa-
Spiele, behalten. magazinen enthalten ist, ist Haus- litionen auf etwas längere Zeit als nur
Woher kommt er plötzlich, der homo mannskost. Wer gern spielt, schätzt ein paar Würfe. Der neue ist graphisch
ludens, in so beachtlicher Zahl, dass das Verfeinerte. Es gibt Spiele, die ei- sehr reizvoll gestaltet und hat einen
ihm die bisher nur auf Kinder einge- nen gemeinsamen Stamm haben, de- Bruder auf der Rückseite. Für sechs
stellten Läden heute ein Sortiment bie- ren Grundidee jedoch durch Raffine- Personen. Der ähnelt aber sehr dem
ten, das man vor wenigen Jahren ver- ments zu einem ganz neuen Spiel sub- «Mensch-ärgere-dich-nicht»-Sechser:
geblich gesucht hätte? Der gestiegene limiert wurden. Dazu gehört auch Das Spiel dauert sehr lange. Man
Lebensstandard mit seinen Errungen- «Das Malefizspiel»; Otto Maier Ver- spielt «Malefiz» zu zweit, zu dritt und
schaften – die komfortable Wohnung, lag, Ravensburg; Nr. 11411 4,80 DM, zu viert mit gleichem Vergnügen.
die längere Freizeit, der Fernseh- Nr. 11412 7,80 DM. Es geht auf das Aber zu viert ist es am schönsten.
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Dem homo ludens eine Gasse
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«In unserem Lande von Lächerlichkeit bedroht, kommt die
«Spielwelle»?» Die erste Spielkritik Eugen Okers, die in
der Zeit am 4. Dezember 1964 erschien.
Text: EUGEN OKER
Wenn die Nebel fallen, wenden sich apparat, das Auto – haben offenbar unverwüstliche «Mensch ärgere dich
die Gedanken dem deutschesten aller eine gesellschaftliche Umorientierung nicht» zurück, ist aber noch um etliche
Feste zu, das aber heute mit der fatalen bewirkt, die als Basis in stärkerem Grade vermaledeiter und trägt somit
Frage verbunden ist: Was schenke ich Masse die Familie in den Mittelpunkt seinen Namen zu Recht. Wie bei allen
wohl wem zu Weihnachten? Gelegen- gerückt hat: Das eigene Heim ist der wirklich faszinierenden Würfelspielen
heit, nicht Anlass zu den nachstehen- grösste Konkurrent des Gasthauses, ist die Idee auch hier recht einfach:
den Betrachtungen, denn hier soll früheres Zentrum der Familienväter. Man hat auf einer verästelten Spiel-
nicht vom Schenken, sondern vom Diese Entwicklung steht jedoch noch route von fünf «Männchen» eines ins
Spielen die Rede sein. an ihrem Anfang. Nicht von ungefähr Ziel zu bringen. Dabei darf vor- und
Der spielende Mensch braucht Hilfe: bieten vorerst nur die Geschäfte in den zurückgezogen und «geschmissen»
Er ist in unserem Lande von Lächer- Grossstädten und an hochfrequentier- werden. Doch ist der Weg steinig im
lichkeit bedroht – im Gegensatz zu ten Ferienorten die grosse Auswahl. wahrsten Sinne des Wortes. Über die
England, beispielsweise – denn bei Es brauchte im Urlaub nur einen Tag Strecke verteilt, befindet sich eine An-
uns ist mangelnder Ernst etwas Ver- zu regnen, und schon begann der Run zahl von Barrikaden; kleine weisse
dächtiges. Spielratten gelten als eine auf die Spielwarenläden. Holzzylinder, über die man nicht hin-
Art von Hanswursten, die ihre Zeit mit Auch das Fernsehen hat einen gewich- wegkann. Man muss sie erst entfernen.
zwecklosem Tun vergeuden. Zweck- tigen Anteil: Quizsendungen, «Ge- Dies geschieht, indem man ihren Platz
loses Tun ist es aber doch, was uns wusst wo?», «Passwort» und andere durch direkten Wurf mit einem seiner
fehlt! haben den Spielratz angesprochen. Figuren erreicht. Das erlaubt dann
Seit einiger Zeit ist in Spielwarenge- Der Handel sollte die Konsequenz aus dem Spieler, das Hindernis irgendwo-
hin, meist einem Mitspieler vor die
schäften ein Phänomen zu beobach- dieser sich abzeichnenden Entwick- Nase, zu setzen. Das ist alles.
ten: Schüchterne Erwachsene «schmö- lung ziehen und dem neuen Kunden
kern» in den flachen Schachteln der die Befangenheit nehmen. Die Verle- Mehr wäre aber auch entschieden zu-
Abteilung «Gesellschaftsspiele». Die ger sollten ihre Produktion auf ihn, viel: Beim «Malefiz» kann man ler-
Fragen der Verkäuferinnen («Für wel- den Anspruchsvollen, einrichten nen, seinen besten Freund zu verflu-
ches Alter soll’s denn sein?»), und ihr durch attraktivere graphische Gestal- chen. Und man sollte die Spielregeln
Rat (Das ist aber ein sehr komplizier- tung der Verpackung, wie das der um eine emotioneile Variante erwei-
tes, ab fünfzehn) sind gut gemeint. Sie Buchhandel schon längst und seit etli- tern. Etwa durch die Erlaubnis jegli-
wollen diese Spiele aber für sich selber cher Zeit auch die Schallplattenindust- cher indirekter Einflussnahme wie
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gern anschauen, den Spielplan studie- scheinen uns friedliche Menschen von durch echte und falsche Ratschläge,
ren und besonders natürlich die Anlei- der rechten Sorte zu sein: Sie unter- Bildung von Bündnissen, Veranstal-
tung, denn es sind Fachleute: Spielrat- werfen sich freiwillig komischen Re- tung gemeinsamer Hetzjagden. So
ten. Sie wünschten Stühle um einen geln, huldigen dem Humor und dem wird «Malefiz» zu einem Spiel, an
Tisch in einer Ecke, Ruhe zum Aus- Fair Play. Zu ihrer Ermunterung wol- dem Freud seine Freude gehabt hätte:
probieren, Vorgeniessen, sorgfältiges len wir beitragen. Warum soll es nur zur Katharsis. Ein Gesundbad für stra-
Auswählen, nicht bedrängt von unge- Besprechungen von Büchern, Filmen, pazierfähige Freundschaften und sol-
duldigen Verkäuferinnen und aufge- Theaterstücken geben? Warum nicht che, die es werden wollen.
kratzten Kindern. Das wird der bisher auch kritische Beschäftigung mit… «Malefiz» gibt es in zwei Ausgaben.
einzig einschlägige Fachhandel, eben Spielen? Die ältere ist mir lieber. Der Spielplan
die Spielwarenbranche, dem neuen ist zwar vergleichsweise nüchtern,
Kunden bieten müssen, will sie ihn, Ärgern ist gesund aber die Route ist weiträumiger, er-
98B
der seiner Art nach die Atmosphäre ei- Halma, Mühle, Fang den Hut und al- laubt mehr taktische Kombinationen,
nes Buchladens vorzöge, gäbe es dort les, was in den verschiedenen Spiele- begünstigt Ausreisser, ermuntert Koa-
Spiele, behalten. magazinen enthalten ist, ist Haus- litionen auf etwas längere Zeit als nur
Woher kommt er plötzlich, der homo mannskost. Wer gern spielt, schätzt ein paar Würfe. Der neue ist graphisch
ludens, in so beachtlicher Zahl, dass das Verfeinerte. Es gibt Spiele, die ei- sehr reizvoll gestaltet und hat einen
ihm die bisher nur auf Kinder einge- nen gemeinsamen Stamm haben, de- Bruder auf der Rückseite. Für sechs
stellten Läden heute ein Sortiment bie- ren Grundidee jedoch durch Raffine- Personen. Der ähnelt aber sehr dem
ten, das man vor wenigen Jahren ver- ments zu einem ganz neuen Spiel sub- «Mensch-ärgere-dich-nicht»-Sechser:
geblich gesucht hätte? Der gestiegene limiert wurden. Dazu gehört auch Das Spiel dauert sehr lange. Man
Lebensstandard mit seinen Errungen- «Das Malefizspiel»; Otto Maier Ver- spielt «Malefiz» zu zweit, zu dritt und
schaften – die komfortable Wohnung, lag, Ravensburg; Nr. 11411 4,80 DM, zu viert mit gleichem Vergnügen.
die längere Freizeit, der Fernseh- Nr. 11412 7,80 DM. Es geht auf das Aber zu viert ist es am schönsten.
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