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Spielinfo Wissen

Werk ist das im wahrsten Sinne des Wortes ein       anrücken, Joschi aus seinem Garten vertrieben
Kinder-Spiel: Drei Kinder beschliessen nach         wird und das Spiel endgültig ein Ende hat. Auch
dem Fund einer toten Hummel die besten Beer-        in Wölfels Werk erscheint Spiel als eine Meta-
digungen der Welt zu organisieren. Das in die-      pher für Kindheit und zwar sowohl bei dem
sem Bilderbuch illustrierte Spiel der Kinder er-    Händler Allemann, der als Erwachsener noch
scheint gleichsam in seiner reinsten Form: Es ba-   einmal spielt - und zwar gerade dann, als er sich
siert auf der Nachahmung menschlicher Hand-         an den Verlust seiner eigenen Kindheit erinnert -
lungen, es gibt keine vorab festgelegten Regeln,    als auch bei Joschi selbst. Diesem Spiel aller-
und es ist vollkommen zweckfrei. Es ist damit       dings fehlt von Beginn an der Charakter der Un-
ein Kinderspiel, wie es typischer nicht sein        beschwertheit: Allemann weiss, Joschi ahnt,
könnte – wäre da nicht der Spielgegenstand, der     dass hier ein Spiel getrieben wird, aber für eine
Tod, den die Kinder als selbstverständlichen Teil   kurze Zeitspanne erklären sie beide es zur Wirk-
ihres Lebens betrachten. Die vermeintliche Dis-     lichkeit. Das Ende des Garten-Spiels markiert
krepanz zwischen dem Schrecken des Todes und        hier aber - anders als in Nilssons Bilderbuch -
dem kindlichen Spiel ergibt sich jedoch nur in      nicht den Beginn eines neuen, anderen Spiels;
den Augen des betrachtenden Erwachsenen. Für        die Vertreibung aus dem Garten steht hier gleich-
die kindlichen Figuren ist die Hingabe an ihr       zeitig für das Ende einer Kindheit. Danach hat
Spiel ohnehin eine endliche, flüchtige Angele-      das Spiel sein Recht verloren und die Akteure
genheit, wie der Erzähler am Ende lakonisch be-     zugleich die Fähigkeit, sich auf Spiele einzulas-
merkt: «Am nächsten Tag machten wir dann et-        sen. Das Spiel trägt hier zudem alle Merkmale
was ganz anderes». Das Spiel erscheint demnach      einer Evasion, der, wie allen Auszeiten, keine
als eine zeitlich begrenzte Angelegenheit, wobei    Dauer beschieden ist.
kein Zweifel daran besteht, dass auf das Beerdi-
gungs-Spiel ein weiteres Spiel folgen wird. So ist  Im Spiel die Wünsche Wirklichkeit
diese Abfolge von Spielen zugleich eine Meta-       werden lassen
pher für Kindheit; zudem können Spiel und rea-
les Leben problemlos miteinander verknüpft          Dieser Antagonismus zwischen Spiel und Reali-
werden, was aber wiederum nur in der Kindheit       tät steht auch im Zentrum der Erzählung «Ha-
möglich erscheint.                                  mide spielt Hamide» von Annelies Schwarz so-
                                                    wie «Rabenhaar» von Do van Ranst. «Und jetzt
Zeitlich begrenzte Spielfreude                      soll es also etwas Grosses, Anderes und Besseres
                                                    sein. Weil es vielleicht das allerletzte Spiel in un-
Genau davon, von der zeitlichen Begrenztheit        serem Leben sein wird. Wir werden alle 13 und
des Spiels, erzählt der bereits 1965 erschienene    Victor sogar 14. (...) Wir werden zu alt, um wie
Roman «Joschis Garten» von Ursula Wölfel Jo-        Kinder zu spielen, so echt unsere Spiele auch
schi, der zusammen mit seiner alleinerziehenden     sein mögen. (...) Alle spüren es.» Wir – das ist
Mutter lebt, setzt seine ganze Energie daran, in    eine Gruppe von Akteuren, die sich seit dem
den Besitz eines verwilderten Gartens zu kom-       Kindesalter kennen und alles miteinander ge-
men. Damit beginnt zugleich das Spiel, denn Jo-     spielt haben. Das letzte Spiel, das die Nicht-
schi muss den Garten zuvor seinem Besitzer,         Mehr-Kinder und Noch-Nicht-Jugendlichen in
dem Eisenwarenhändler Allemann, abkaufen.           Szene setzen wollen, ist eine «Hochzeit» zwi-
Der Mann ist gerührt, stand doch genau in die-      schen dem Ich-Erzähler Bram und dem marok-
sem Garten früher sein Elternhaus. In Erinne-       kanischen Mädchen Fatima, genannt Rabenhaar.
rung daran «verkauft» er Joschi den Garten, al-     Einmal nur möchte das Mädchen aus Liebe hei-
lerdings nur im Spiel – es ist ein Kinder Kauf-     raten (und sei es auch nur im Spiel), denn sie
vertrag, der da aufgesetzt wird. Joschi jedoch ist  fürchtet, in der Realität nur zu bald an einen vom
entschlossen, das Spiel für die Realität zu neh-    Vater ausgesuchten Mann verheiratet zu werden.
men und kultiviert den Garten aufwändig. Dabei      Eine fast analoge Ausgangssituation wird in
führt er ein Leben wie Robinson, d.h. er spielt     Schwarz' Erzählung «Hamide spielt Hamide»
zugleich das Leben einer literarischen Figur        entworfen. Auch hier steht die Protagonistin
nach. Und zwar so lange, bis die Baumaschinen
                                                                                         Spielinfo 1 / 2016 | 61
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